Kaum ist die so genannte, auf Bildungspaket und Regelsatzerhöhung reduzierte, Hartz-IV-Reform im Bundesrat durchgefallen, kommen die neoliberalen Qualitätsmedien mit neuen Hetzkampagnen um die Ecke, damit auch noch der letzte Geringverdiener seinen Hass auf die Arbeitslosen entdeckt.
Ganz vorne marschiert, wie nicht anders zu erwarten, einer der größten liberalen Abszesse, die „Welt“. In ihrer Online-Ausgabe vom 18.12.2010 meldet sich mit Rainer Werner ein ehemaliger Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte zu Wort, der seine kruden Ansichten in den medialen Äther kotzen darf und sich nicht einmal schämt, eine ganze Bevölkerungsschicht öffentlich und ohne jeden Nachweis zu kriminalisieren.
Verschriftete Logorrhoe
Ihr Artikel, Herr Werners, startet mit dem wunderbaren Untertitel:
„Mit kluger Lebensführung kann man mit Hartz IV sorgenfrei leben, die Dummen sind Arbeiter mit niedrigen Einkommen. Das zeigt sich auch in der Schule.“
In sich ergibt dieser Satz sehr wenig Sinn, lässt jeden Menge Platz für Interpretationen. Sie gestehen uns Hartz-IV-Beziehern zumindest so viel Intelligenz zu, uns eine kluge Lebensführung ermöglichen zu können, um vom Regelsatz sorgenfrei leben zu können. Gleichzeitig sprechen Sie dem Arbeiter mit niedrigem Einkommen diese Intelligenz ab. Eine gewagte These! Der Bezug zur Schule entzieht sich mir vollständig.
„Im Jahre 2003 wurde im Rahmen der Agenda 2010 die frühere Grundsicherung – die Sozialhilfe – mit dem Arbeitslosengeld II zusammengelegt. Man wollte sich nicht länger damit abfinden, dass Menschen in der Sozialhilfe verharren und für den Arbeitsmarkt verloren sind. Durch „Fordern und Fördern“ sollten die Arbeitslosen so motiviert werden, dass sie möglichst schnell wieder eine Arbeit aufnehmen. Ein großer Teil der Arbeitslosen hat dies geschafft und dadurch diese umstrittene Arbeitsmarktreform als erfolgreich bestätigt.“
Zunächst einmal sollte man von einem Gymnasiallehrer für Geschichte eine bessere Recherche der nachprüfbaren Fakten verlangen dürfen. Die Sozialhilfe wurde zum Einen nicht 2003, sondern 2005 und zum Anderen nicht mit dem Arbeitslosengeld II, sondern mit der Arbeitslosenhilfe zum Arbeitslosengeld II zusammengeführt.
Die Zusammenführung hatte auch nicht wirklich etwas mit dem Verharren der Sozialhilfeempfänger in der Sozialhilfe und dem „Verlust für den Arbeitsmarkt“ zu tun. Die damalige Sozialhilfe galt für arbeitsunfähige, erwerbsgeminderte und alte Menschen, die „der Arbeitsmarkt“ sowieso nicht wollte.
Der angebliche Erfolg der Arbeitsmarktreform leitet sich auch nicht durch die angeblich äußerst erfolgreiche Vermittlung der Hartzer in den Arbeitsmarkt ab. Viel mehr dadurch, dass durch die „Motivationshilfe Fordern und Fördern“ die Reallöhne in den unteren Einkommensbereichen gedrückt, Niedrig- und Niedrigstlohnsektor durch einen staatlichen Kombilohn – Aufstockung genannt – in einem unglaublichen Maß ausgebaut, der Leiharbeitsbranche hoch motivierte Sklaven zugeschanzt und mit der Arbeitslosenindustrie in Form von privaten Jobvermittlern, Bildungs- und Maßnahmeträgern, sowie deren angestellten Bewerbungstrainern und Blockwarten, 1-€-Jobbern und Bürgerarbeitern ganze Industriezweige aus dem Dornröschenschlaf geweckt wurden.
„Ein anderer Teil hat allerdings den Anschluss an den Arbeitsmarkt verloren und scheint sich in der vom Staat verbürgten Grundsicherung „wohnlich“ einzurichten. Sprachliche Prägungen wie „hartzen“; die oft von jugendlichen Schulabbrechern benutzt werden, illustrieren diesen traurigen Befund.“
Was bleibt den abgehängten anderes übrig, als sich „wohnlich“ einzurichten? Ein Blick in die öffentlich zugänglichen Arbeitslosenstatistiken reicht aus um zu erkennen, dass es bei ca. 800.000 offenen Stellen und 3.000.000 offiziellen Arbeitlosen immer Übriggebliebene geben wird. Sollen sie sich von der nächsten Brücke werfen oder mit kostenlos zugewiesenen Stricken an einer Laterne erhängen? Besonders zynisch ist hier die Anspielung auf die jugendlichen Schulabbrecher, bei der Sie, Herr Werner, ihre Augen offenbar vor der schlichten Tatsache verschließen, dass an deutschen Hauptschulen seit Jahren das Ausfüllen von Hartz-IV-Anträgen geübt wird. Die sprachliche Prägung „hartzen“ ist die logische Folge einer rostigen Zukunft unserer Kinder. (more)